D a s L i b e r a l e T a g e b u c h |
Sammlung
Originaldokumente aus „Das Liberale
Tagebuch“, http://www.dr-trier.de |
Kommentar des Liberalen Tagebuches: Hervorhebung eines Teils der Antwort auf
die vierte Frage, weil Westerwelle dies auf einer öffentlichen
Parteiversammlung am 16. Oktober 2004 genauso gemeint und gesagt hat. Auf der
Parteiversammlung gab es dazu ausdrücklichen Applaus. WESTERWELLE-Interview für die "Welt am
Sonntag"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE
gab der „Welt am Sonntag“ das folgende Interview. Die Fragen stellten
FRIEDEMANN WECKBACH-MARA und CHRISTIAN REIERMANN. Frage: Herr Westerwelle, seit Wochen tobt in der Union ein
Streit um die Gesundheitsreform. Die Umfragewerte sinken. Sind CDU und CSU
derzeit überhaupt regierungsfähig? WESTERWELLE: Die Unionsparteien gefährden die Ablösung von
Rot-Grün, wenn sie so weitermachen. Deswegen appelliere ich an CSU und CDU,
sich endlich zu einigen. Und zwar in den Sachfragen genauso wie in den immer
noch ungeklärten Macht- und Personalfragen. Frage: Ein bißchen genauer, bitte. WESTERWELLE: Der thüringische Ministerpräsident Dieter
Althaus hat doch recht: Hinter den Auseinandersetzungen stecken nicht nur
konzeptionelle Unterschiede darüber, ob die Bürger eine einheitliche
Pauschale oder einkommensabhängige Beträge an ihre Krankenkasse bezahlen
sollen. Es geht doch in Wirklichkeit darum, wer die Unionsparteien in den
nächsten Bundestagswahlkampf führt. Bis zum CDU-Parteitag Anfang Dezember
haben beide Parteien Zeit genug, die Fragen zu klären. Wenn die Union nicht
bis zur Bundestagswahl im Dauerclinch liegen will, ist sie gut beraten, jetzt
zu entscheiden, wer Kanzlerkandidat werden soll. Ich bedaure, daß einige
Herren in der Union offenkundig ein Problem damit haben, von einer Frau
geführt zu werden. Wir Liberalen haben da ein moderneres Gesellschaftsbild. Frage: Wen meinen Sie damit? WESTERWELLE: Wen immer es angeht… Frage: Geht der Streit in der Union nicht auch darum, was
man den Bürgern an Reformen zumuten kann? Die CSU will es nicht so radikal
wie FDP und CDU, dafür aber lieber im System reformieren. WESTERWELLE: Die CSU muß sich von ihrer Strategie
verabschieden, die Bundesregierung links überholen zu wollen. Auf der Spur
von Norbert Blüm und Horst Seehofer zu bleiben, ist kein politisches Konzept
für die Zukunft. Für die Fortsetzung der
bürokratischen Staatswirtschaft bin ich, dafür ist die FDP nicht zu haben.
Für Umverteilungspolitik müssen sich die Unionsparteien einen anderen Partner
suchen. Wir brauchen eine wachstumsorientierte Politik. Frage: CSU-Chef Edmund Stoiber glaubt, daß ein
Radikal-Programm a la FDP für eine Volkspartei wie die Union die Garantie für
eine Wahlniederlage ist. WESTERWELLE: Viele in der Union haben immer noch die
Vorstellung, man würde Wahlen verlieren, wenn man aus der Deckung kommt. Das
ist falsch. Die Menschen spüren längst, daß der Wohlstand weiter schwindet,
wenn sich nichts ändert. Opel und Karstadt sind doch nur die Spitze des
Eisbergs. Früher hieß es, wer die Wahrheit sagt, verliert die Wahl, heute ist
es genau umgekehrt. Wer nicht mit klaren Antworten, zu denen auch
anstrengende Veränderungen gehören, vor die Wähler tritt, verliert. Das gilt
auch für Volksparteien. Frage: Für klare Ansage stand auch Unions-Fraktionsvize
Friedrich Merz. Schwächt sein Rückzug auf die Hinterbänke die Union? WESTERWELLE: Das Ausscheiden von Friedrich Merz aus der
ersten Reihe der Politik wird für viele ein Grund sein, statt Union künftig
die marktwirtschaftlich eindeutige FDP zu wählen. Also verschiebt sein
Rückzug lediglich die Gewichte. Dennoch macht mir der Abgang von Herrn Merz
einige Sorgen. Frage: Warum das? WESTERWELLE: Es ist das Verdienst von Friedrich Merz, mit
seinem Drei-Stufen-Modell einer Steuerreform, das er übrigens weitgehend von
der FDP übernommen hat, die Idee niedrigerer Steuern auch in der Union
konsensfähig gemacht zu haben. Kaum tritt Merz aus der ersten Reihe seiner
Partei zurück, schon wird der Steuersenkungskurs in Frage gestellt. Frage: Sie meinen den Aufschlag auf die Einkommensteuer,
mit dem die CDU den Sozialausgleich bei ihrer Kopfpauschale finanzieren will? WESTERWELLE: Ich halte dieses Konzept der Kopfpauschale
für genauso unzureichend wie die rot-grüne Zwangskasse, genannt
Bürgerversicherung. Beide beantworten nicht die demographische Frage. Die FDP
schlägt bei der Reform des Gesundheitswesens einen dritten Weg vor. Statt
Einheitssysteme setzen wir auf mehr Wettbewerb, statt Zwangskassen schlagen
wir vor, daß jeder verpflichtet ist, sich bei einer privaten Krankenkasse zu
versichern, aber bei voller Wahlfreiheit. Das macht unser Gesundheitssystem
zukunftsfest, darauf werden wir in Koalitionsgesprächen drängen. Frage: Hat es Sie beunruhigt, wie bereitwillig die Union
mit dem Gedanken an eine populistische Unterschriftenaktion gegen den
Türkeibeitritt gespielt hat? WESTERWELLE: Das hat es allerdings. So etwas ist ein
Ausdruck von Hilflosigkeit und ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Ich bin
froh, daß die ganze Aktion nun offensichtlich vom Tisch ist. Sie hätte nur
dazu geführt, daß rechtextremen Parteien Wähler zugetrieben werden. Frage: …die Ihnen für die Regierungsübernahme gefehlt
hätten… WESTERWELLE: Die Geschichte der Bundesrepublik zeigt: Wer
die Grundsätze der deutschen Außenpolitik in Frage stellt wird nicht gewählt.
Wir werden nicht zulassen, daß Deutschland international unberechenbar wird
und sich nicht an ein gegebenes Wort hält. Wenn die Europäische Union im
Dezember Beitrittsverhandlungen beschließt, bindet dies auch jede
nachfolgende deutsche Regierung. Auch wenn Fehler der deutschen Außenpolitik,
etwa die Einäugigkeit bei den Menschenrechten, korrigiert werden müssen - die
FDP garantiert die Kontinuität in den Grundsätzen der Außenpolitik. Frage: Also kommt die Türkei in die EU? WESTERWELLE: Das ist und bleibt offen. Wir werden die
EU-Kommission beim Wort nehmen, daß es ergebnisoffene Verhandlungen geben
muß. Frage: Was empfiehlt der Leichtmatrose Westerwelle, wie
Sie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber einmal genannt hat, dem
schlingernden Partner Union, um wieder auf Kurs zu kommen? WESTERWELLE: Wir müssen kämpfen für den Politikwechsel,
nur dann kommt auch Wechselstimmung auf. Wir müssen eine klare Politik
verfechten für mehr Wachstum, mit einer Steuerreform als Initialzündung. Wir
müssen den Arbeitsmarkt flexibler machen und den Flächentarifvertrag
reformieren und, ganz wichtig, Innovationen zum Beispiel in der Gen- und
Biotechnologien fördern, anstatt sie, wie Rot-Grün, außer Landes zu treiben.
Im übrigen: Aus manchem Matrosen ist schon ein Kapitän, zumindest aber ein
Erster Offizier geworden. |